Arndt_Eversberg-Rechtsanwalt-01

Europäische Verbandsklagerichtlinie und Prozessfinanzierung - Vorschlag der Regierung

Am 23. Februar war es also soweit und der Referentenentwurf für die sog. Abhilfeklage wurde trotz der noch bestehenden Differenzen in der Regierungskoalition veröffentlicht und interessierten Kreisen die Möglichkeit zu Stellungnahmen gegeben.

Umsetzung im Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VRUG)

Wie bekannt wird die Abhilfeklage als Umsetzung der Europäischen Verbandsklagerichtlinie die Musterfeststellungsklage (MFK) als Leistungsklage ergänzen. Klagebefugt ist auch hier nicht der direkt Betroffene, sondern nur qualifizierte Verbraucherverbände sowie gelistete, qualifizierte Einrichtungen aus anderen EU-Ländern. Diese müssen glaubhaft machen, dass es mindestens 50 Betroffene gibt. Eingangsinstanz ist ein Oberlandesgericht, das Verfahren ist vierstufig: Im sog. gerichtlichen Abhilfeverfahren prüft das Gericht dem Grunde nach und fällt ein Grundurteil (1), wogegen die Revision zum BGH zulässig ist. Nach Rechtskraft sollen die Parteien versuchen, die Ansprüche durch Vergleich (2) zu regeln. Gelingt das nicht, ergeht ein Abhilfeendurteil (3), das dem das Gericht auch einen kollektiven Schadensersatzbetrag festlegt. Es bestimmt ferner einen Sachwalter (4), der diesen Betrag auf die Kläger individuell verteilt.
Umstritten in der Koalition ist weiterhin, bis wann ein Kläger der Klage beitreten muss (aktuell geht ein opt-in bis einen Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung) und die Verjährungshemmung (aktuell nur für beigetretene Anspruchsinhaber und gehemmte Individualverfahren).

Effektiver Verbraucherschutz braucht Finanzkraft

Die Kritik am Entwurf ist übersichtlich. Soweit, so gut also? Nein, denn wer „schmeißt die Party“ eigentlich?

Klagebefugt sind ausschließlich die deutschen und europäischen Verbraucherzentralen/ Einrichtungen, doch die sind chronisch klamm (so bemängelt der VZBV in seiner Stellungnahme schon die Verdopplung der Streitwertgrenze auf EUR 500.000 im Vergleich zur MFK). Hier könnten die gewerblichen Prozessfinanzierer helfen, indem sie

  • selbst die Klägerrolle übernehmen – dürfen sie aber nicht, vgl. § 4 Abs. 2, Ziffer 3 VRUG
  • die qualifizierten Kläger finanziell unterstützen – dürfen sie aber nur bis max. 5% der finanziellen Mittel der Einrichtungen, was keinen Effekt haben dürfte oder
  • die Abhilfeklagen gegen eine Erfolgsbeteiligung prozessfinanzieren.

Verbraucherverbände und Prozessfinanzierer Hand in Hand

Letzteres brächte zusammen, was für einen durchsetzungsstarken Verbraucherschutz zusammen gehört: eine an Verbraucherschutz orientierte Organisation und finanzstarke Unternehmen, die finanzielle Waffengleichheit mit den beklagten Konzernen garantieren. Diesen Einsatz finanzieller, organisatorischer und personeller Ressourcen gibt es natürlich nicht umsonst. Was im Übrigen genauso für den vorgesehenen Sachwalter gelten muss, der vor der herausfordernden Aufgabe stehen dürfte, hunderte, wenn nicht tausende von Anspruchsinhabern in angemessener Zeit sachgerecht zu befriedigen.
 
In Abstimmung mit der anstehenden Regulierung der Prozessfinanzierung in der EU sollte daher ein in sich greifendes Regelwerk geschaffen werden, das die Prozessfinanzierung für Abhilfeklagen – genauso wie im Übrigen für Gewinnabschöpfungsklagen gem. § 10 UWG – ermöglicht. Der Gesetzgeber ist gefragt, dafür einen Rahmen zu schaffen (insb. Höhe der Beteiligung, Mitspracherecht des Finanzierer, vgl. dazu meinen Blog vom 07.10.2022), der die Prozessfinanzierung von Verbraucherklagen aller Art attraktiv macht. Kontrollinstanz wäre im Übrigen, wie in § 9 Abs. 2 VRUG auch vorgesehen, das Gericht, das einen Vergleich genehmigen muss.

Fazit:

Das alles ist kein Hexenwerk, sondern erfordert etwas Weitsicht und Mut. Und wäre ganz im Sinne eines attraktiven Gerichtsstandortes Deutschland.

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Richtlinienvorschlag des EU-Parlaments zur Prozessfinanzierung

Am 13. September 2022 hat das EU-Parlament einen Richtlinienvorschlag zur „verantwortungsbewussten privaten Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten“ gemacht. Das war abzusehen und kommt in der Sache, wie vom Inhalt her nicht überraschend.

Schon wird von einigen das Ende der gewerblichen Prozessfinanzierung befürchtet (vgl. Kolba, Presseaussendung 16.09.22). Dem muss aber nicht so sein.

Was verlangt das Parlament eigentlich genau? Im wesentlichen drei Dinge:

1. Regulierung und Überwachung von Prozessfinanzierern

Nachdem es die Branche über Jahre versäumt hat, sich in der EU zu organisieren und selbst zu regulieren, ist es folgerichtig, dass sich mit zunehmendem Maße der Finanzierungen der Gesetzgeber veranlasst sieht, Maßnahmen zu ergreifen.

Gefordert wird eine unionseinheitliche Regelung, was absolut Sinn ergibt, denn viele Verfahren sind heute grenzüberschreitend und/oder haben mehrere Gerichtsstände. Mindestkapital, Sitz in der Union, Ombudsmannstelle für Beschwerden von Verbrauchern.

2. Obergrenze für Erfolgsbeteiligung

Zentraler Aspekt einer Regulierung musste natürlich der Wunsch einer Obergrenze für die Beteiligung des Finanzierers werden.

Gefordert wird, dass dem Anspruchsinhaber mindestens 60 % verbleiben sollen. Zunächst unproblematisch, da in Europa ohnehin selten mehr als 40 % Erfolgsbeteiligung verlangt wird. Problematisch allerdings, dass zu diesem Zweck im Finanziereranteil „alle Schadensersatzbeträge, Kosten, Gebühren und sonstige Auslagen“ enthalten sein sollen. Dies ist unfair und unnötig. Der Finanzierer wird als Kostenträger genau darauf achten, selbige im Griff zu halten. Sofern diese den ursprünglich kalkulierten Rahmen überschreiten, liegt dies am Verfahrensverlauf und nicht selten daran, dass der Beklagte – was sein gutes Recht ist – Rechtsmittel einlegt. Es muss also dabeibleiben, dass Verfahrenskosten zunächst immer aus einem Verfahrenserlös bedient werden, auch wenn das dazu führt, dass am Ende nicht viel übrigbleibt. Dieses Schicksal tragen Finanzierer und Kläger dann gemeinsam.

Anderes könnte dann gelten, wenn die mandatierten Anwälte am Prozessfinanzierer beteiligt sind, doch dürfte ein Missbrauch durch überhöhte Gebühren zumindest in Europa (ohne UK!) die Ausnahme sein.

Ein fairer Kompromiss wäre, die Obergrenze auf 50% zu setzen, nach Ausgleich aller Verfahrenskosten. Dies entspräche im Übrigen der heutigen weitgehend gelebten Praxis.

Problematisch ist allerdings, dass dem Finanzierer nicht gestattet werden soll, „finanzierte Parteien (…) zu irgendeinem Zeitpunkt im Stich zu lassen“. Das klingt nach „Gefahrengemeinschaft“, doch eine solche ist es nur bedingt. Der Finanzierer ist ein Investor, der Geld verdienen und nicht versenken will, und das ist auch gut so. Damit ist nämlich gewährleistet, dass nicht mehr erfolgversprechende Verfahren auch beendet werden.

3. Offenlegung und Transparenz

Offenlegung der Prozessfinanzierung? Warum nicht? Nach mehr als 23 Jahren ist die gewerbliche Prozessfinanzierung ein anerkanntes und vielfach genutztes Instrument und muss sich nicht mehr verstecken. In einem Großteil der Verfahren wird schon heute offengelegt und in Verbrauchersachen, idR Sammelklagen, geschieht dies im Rahmen des Bookbuildings sowieso.

Gefordert wird, die Nennung des finanzierenden Unternehmens sowie die Offenlegung des Finanzierungsvertrags. Unproblematisch, solange die Finanzierungskonditionen und Verabredungen zur Prozessführung und Durchsetzung des Anspruchs geheim bleiben. Alles andere wäre ein Verstoß gegen den Fair Trial, da der Beklagte das Wissen um den finanziellen Rahmen und die Vorgehensweise für seine Strategie nutzen könnte.

Fazit:

Die Regulierung der Prozessfinanzierung wird kommen und sie kann – in vernünftiger Form – der Branche sogar zu weiterem Wachstum verhelfen, wenn folgende Eckpunkte beachtet werden:

  • Ein unionseinheitliches Rahmenwerk in Abstimmung mit der Richtlinie EU 2020/1828 (Verbandsklagen RL)
  • keine Überregulierung, Einigung auf angemessene Mindeststandards
  • eine Kappungsgrenze für die Erfolgsbeteiligung bei max. 50 % des verbleibenden Erlöses nach Kosten und nicht darüber
  • Bewahrung der unternehmerischen Freiheit des Finanzierers, jederzeit aus einem Verfahren auszusteigen, sofern er den Kläger von allen Kosten bis zu diesem Zeitpunkt bzw. bis zur umgehenden Beendigung freistellt.

Ziel der Branche sollte jetzt sein, eine Regulierung zu nutzen, zukünftig auch Verbraucherverbände im Sinne der Verbandsklagen Richtlinie ohne Einschränkungen finanzieren zu dürfen. Dann wäre allen geholfen:

Einem besseren Verbraucherschutz, einer effektiven Rechtsdurchsetzung und einer Branche, die sich seit jeher auf die Fahnen geschrieben hat, jedermann Zugang zum Recht zu gewähren.